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Stellungnahme: Queermed begrüßt Sichtbarmachung der Probleme durch Studienergebnsise

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  • Eine Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes belegt, dass von Diskriminierung betroffene Menschen im Gesundheitswesen sehr oft auf sich allein gestellt sind
  • Queermed-Geschäftsführung und Gründer*in Sara Grzybek begrüßt die Sichtbarmachung dieser Problematik durch die Studienergebnisse und sieht ebenfalls starken Handlungsbedarf, die Rechte von Patient*innen zu stärken und ihnen mehr Informationen zur Verfügung zu stellen, wo sie sich im Fall von Diskriminierung hinwenden können.

Wie auch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes aus einer eigenen Studie von 2017 weiß, erlebt jede vierte befragte Person Diskriminierung, auch im Gesundheitswesen. Bei einer Teilnehmendenbasis von über 16.000 Personen wird deutlich, wie viele Menschen bundesweit betroffen sein können. 

Nach Auffassung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes gilt das AGG auch auf den medizinischen Behandlungsvertrag. Leider ist es derzeit rechtlich nicht abschließend geklärt, ob sich Betroffene im Fall einer Klage auf das AGG berufen können. Es ist aber wichtig, dass Menschen gerade auch im Gesundheitsbereich ein Recht auf diskriminierungsfreie Behandlung haben.

Beschwerdemöglichkeiten kaum sichtbar, obwohl gesetzliche Verpflichtungen vorliegen

Zwar wird in den Studienergebnissen richtigerweise darauf hingewiesen, dass vor allem auch Krankenhäuser und Rehakliniken gesetzlich verpflichtet sind, eine Beschwerdestelle für Patient*innen einzurichten und die Patient*innen diesbezüglich zu beraten. Darüber hinaus gibt es auch für ambulant tätige Behandler*innen u.a. die Kammern, bei denen Beschwerden und Meldungen über Diskriminierungsfälle eingereicht werden können. Für Praktizierende ohne Kammer (bspw. Physiotherapeut*innen, Hebammen) gehören die Gesundheitsämter zu den möglichen Anlaufstellen. Ansonsten können auch Krankenkassen oder die Praktizierenden selbst Anlaufstellen für Diskriminierungsfälle sein. Letztere sind jedoch aus verschiedenen Gründen nicht die idealen Ansprechpartner in solchen Fällen.

Darüber hinaus gibt es bundesweit Beratungsstellen, die Betroffene nicht nur bei Diskriminierungen im Gesundheitswesen, sondern auch in anderen Lebensbereichen unterstützen.

All diese Anlaufstellen, das wird auch in der Studie erklärt, unterscheiden sich teilweise sehr in ihrer Arbeitsweise und inwieweit sie betroffene Patient*innen beraten, unterstützen und eben auch Diskriminierungsfälle aufnehmen oder weiterverfolgen.

Folgende Forschungsfragen wurden in der Studie gestellt: 

  • Welche Anlauf- und Beschwerdestellen gibt es und inwiefern sind sie für Beschwerden und Anfragen zu Diskriminierungserfahrungen zuständig?
  • Informieren die Anlauf- und Beschwerdestellen über diese Zuständigkeit und inwiefern sind sie bekannt? 
  • An wen wenden sich Betroffene und wie hoch ist das Aufkommen an Beschwerden und Anfragen bei den Anlauf- und Beschwerdestellen?

In der Studie wird auch erwähnt, dass Pflegeeinrichtungen, sowohl stationäre als auch ambulante, in der Studie nicht berücksichtigt wurden. Queermed würde es begrüßen, wenn auch dieser Themenbereich in naher Zukunft bearbeitet werden würde, da auch in Pflegeeinrichtungen, gerade wenn es um Menschen mit Behinderungen geht, viele Erfahrungsberichte über Diskriminierungsfälle sowie Tötungsdelikte in Deutschland bekannt sind und wir auch hier eine übergreifende Informationsquelle benötigen, um Handlungsaufforderungen zu argumentieren.

Es ist wichtig, dass solche Fragen gestellt werden, denn auch in der Arbeit von Queermed wird deutlich, dass Menschen oft nicht wissen, an wen sie sich im Falle von Diskriminierung im Gesundheitswesen wenden können. Gleichzeitig ist es gut, dass im Rahmen dieser Studie die verschiedenen Diskriminierungsebenen (Rassismus, Frauenfeindlichkeit, Ableismus, Altersdiskriminierung, Homophobie, Klassismus, Dickenfeindlichkeit und Diskriminierung aufgrund der Religionszugehörigkeit), die auch in der Arbeit von Queermed sichtbar werden, thematisiert werden und auch, dass die intersektionalen Ebenen der verschiedenen Diskriminierungsfaktoren miteinander verknüpft sein können.

Aus "Diagnose Diskriminierung". Quelle IGES
Screenshot aus der Studie "Diagnose Diskriminierung" der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Quelle IGES

Beschwerdestellen im Gesundheitswesen: Nichts gemeldet also nichts passiert?

Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die befragten Anlaufstellen in Krankenhäusern und Rehabilitationskliniken im Jahr 2021 kaum Beschwerden erhalten haben.

Quelle: IGES auf Basis der Befragung der Anlauf- und Beschwerdestellen
Quelle: IGES auf Basis der Befragung der Anlauf- und Beschwerdestellen

Dies ist nicht weiter verwunderlich, wenn wir uns anschauen, wie selten Patient*innen proaktiv auf Beschwerdemöglichkeiten im Fall von Diskriminierungserfahrungen hingewiesen werden. Die Zahlen in Abbildung 9 aus den Studienergebnissen zeigen, dass es erschreckend wenige Hinweise gibt, die Patient*innen über ihre Handlungsoptionen im Fall von Diskriminierung während des Krankenhaus- bzw. Reha-Aufenthaltes informieren. Damit werden Patient*innen wieder allein gelassen und müssen sich selbst mit dem Thema beschäftigen. Gleichermaßen wird das Thema Diskriminierung unsichtbar gemacht, wobei es auch da viele Erfahrungsberichte als auch Studien gibt, die Diskriminierungsfälle im Gesundheitswesen aufzeigen.

Quelle: IGES auf Basis der Befragung der Anlauf- und Beschwerdestellen Anmerkung: Die Frage wurde nur gestellt, wenn allgemein zur Anlauf-/Beschwerdestelle informiert wird.
Quelle: IGES auf Basis der Befragung der Anlauf- und Beschwerdestellen Anmerkung: Die Frage wurde nur gestellt, wenn allgemein zur Anlauf-/Beschwerdestelle informiert wird.

Darüber hinaus lässt sich feststellen, dass es zwar Beschwerden mit unterschiedlichen Diskriminierungsebenen gegeben hat, diese aber erschreckend selten bei den zuständigen Stellen in Krankenhäusern und Rehabilitationskliniken eingehen.

Dies deckt sich mit den Erkenntnissen, die wir u.a. aus dem NaDiRa Bericht von 2023 haben, in demBefragte angaben, dass sie aus Angst vor weiteren Diskriminierungserfahrungen Gesundheitsleistungen nicht in Anspruch genommen haben. 

Die Frage stellt sich auch, wenn Betroffene nicht informiert werden, ob sie sich überhaupt sicher genug fühlen, eine Beschwerde einzureichen, wenn nicht klar ist, wie sensibilisiert die Personen in den zuständigen Beschwerdestellen sind. Denn häufig fehlt es nicht nur an einer Sensibilisierung des Klinikpersonals für intersektionale Lebensrealitäten, diskriminierungssensible Arbeit mit Patient*innen oder Anti-Bias-Verständnis, sondern Patient*innen können nicht selbstverständlich davon ausgehen, dass ihnen im Falle einer Diskriminierung Verständnis entgegengebracht wird.

Quelle: IGES auf Basis der Befragung der Anlauf- und Beschwerdestellen
Quelle: IGES auf Basis der Befragung der Anlauf- und Beschwerdestellen

Was können wir tun, damit Patient*innen mit Diskriminierungserfahrung ihre Rechte einfordern können?

Wie die Studie richtig feststellt, gibt es mehrere Ansatzpunkte, um die Patient*innen entsprechend in ihren Rechten zu bestärken.

Folgende Handlungsempfehlungen lassen sich aus der Studie ableiten

  • Verbesserung des Zugangs zu bestehenden Beratungs- und Beschwerdemöglichkeiten durch bessere Information und Zugänglichkeit.
  • Professionalisierung der Anlaufstellen durch Schulungen und klare Richtlinien zum Umgang mit Diskriminierung.
  • Einbettung der Beschwerdeverfahren in eine umfassende Strategie zur Prävention von und zum Umgang mit Diskriminierung in den Institutionen des Gesundheitswesens.

Nur indem die Patient*innen über ihre Rechte und Möglichkeiten informiert werden, können sie selbstbestimmt handeln. Dazu gehört auch, dass mehr Menschen über Themen wie das “Patientenrechtegesetz” im BGB informiert werden, dass sie wissen, welche Rechte sie im Gesundheitswesen haben und welche Pflichten die Behandler im Gegenzug haben.

Ebenso ist es wichtig, dass die Verantwortlichen in den Beschwerdestellen nicht nur selbst auf sich und ihre Arbeit aufmerksam machen, sondern auch institutionell darauf aufmerksam gemacht werden. Mit der Gewissheit, dass diskriminierendes Verhalten Konsequenzen haben. Patient*innen dürfen mit ihren Erfahrungen im Gesundheitswesen nicht allein gelassen werden. 

“Diskriminierung macht auch vor den Türen von Praxen und Kliniken nicht halt. Deshalb müssen Patient*innen über ihre Rechte und Möglichkeiten informiert werden, damit sie in solchen Fällen selbstbestimmt handeln können und vor weiteren Diskriminierungserfahrungen bewahrt werden. Es bedarf einer umfassenden Verbesserung des Beschwerdemanagements in Institutionen wie Kliniken und Krankenhäusern, aber auch in Krankenkassen, Kammern und Gesundheitsämtern. Wir brauchen eine Gesundheitsversorgung, die uns nicht zusätzlich krank macht.”- Sara Grzybek, Gründer*in und Geschäftsführer*in von Queermed Deutschland

Sara Grzybek_Fotoquelle_Fadi_Elias_und_In-Haus eV

Hier geht es zu den Studienergebnissen der Antidiskriminierungsstelle des Bundes:

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