aMStart: Wie eine Plattform Menschen mit MS verbindet und stärkt – Interview mit der Community für Austausch und Empowerment
- Sara Grzybek
- Köln
Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, die weltweit Millionen Menschen betrifft. Allein in Deutschland leben etwa 250.000 Betroffene mit den oft unvorhersehbaren Symptomen wie Müdigkeit, motorischen Einschränkungen oder kognitiven Störungen. MS tritt meist zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr auf und betrifft Frauen häufiger als Männer. Trotz intensiver Forschung gibt es bisher keine Heilung, doch eine frühe Diagnose und der Austausch mit anderen Betroffenen kann den Krankheitsverlauf positiv beeinflussen.
aMStart, eine Plattform für Community-Kontakt, bietet genau diesen wichtigen Raum für den Austausch und die gegenseitige Unterstützung. Die Plattform ermöglicht es Menschen mit MS, sich über ihre Herausforderungen und Erfolge auszutauschen und gegenseitig zu stärken. Dabei spielt der Empowerment-Gedanke eine zentrale Rolle – gemeinsam Hindernisse zu überwinden und sich gegenseitig in schweren Zeiten zu unterstützen. Besonders wichtig ist die Möglichkeit, von Menschen zu lernen, die ähnliche Erfahrungen durchleben und den eigenen Weg zu einem erfüllten Leben trotz MS zu finden.
In diesem Interview erfahren wir mehr über die Mission und die Angebote von aMStart und wie diese Plattform Menschen mit MS hilft, den Alltag besser zu bewältigen.
Wer steht hinter aMStart und seit wann gibt es euch?
aMStart ist eine gemeinnützige Organisation mit Sitz in Berlin. Wir sind eine Community von und für junge Erwachsene mit der Diagnoseerfahrung Multiple Sklerose und bieten digitale 1:1 Gespräche von und für Menschen mit MS an. Hinter aMStart steht ein hauptamtliches Team mit 6 Personen aus den unterschiedlichsten Bereichen und über 40 bundesweite, geschulte ehrenamtliche Gesprächspartner*innen.
Eine MS-Diagnose wirft viele Fragen und Emotionen auf. Genau dafür schaffen wir digitale Räume. In diesen kannst Du Dich mit unseren erfahrenen Gesprächspartner*innen austauschen, die selbst mit MS leben, von unseren Psycholog*innen geschult wurden, und Deine Situation verstehen.
Was war die Motivation aMStart zu gründen?
Die Idee von aMStart entstand aus eigener Erfahrung mit der Diagnose MS. Wir wissen, was es bedeutet, nach der Diagnose 1000 Fragen und Sorgen im Kopf zu haben. Unsere Gründerin Jasmin erhielt mit 24 Jahren die Diagnose und spürte selbst die Lücke, die ein digitales Angebot gezielt für junge Menschen füllen könnte.
Inzwischen ist daraus ein wunderschönes Zuhause für alle jungen Menschen mit MS geworden. Gemeinsam gestalten wir eine Zukunft, in der wir zusammen stark mit Multiple Sklerose sind. Heute sind wir als bundesweite Community hier, um anderen jungen Erwachsenen mit MS zu zeigen: Du bist nicht allein – wir sind mit Dir aMStart!
Das junge, digitale Gesprächsangebot, das wir uns gewünscht hätten, bieten wir jetzt selbst an.
Wie findet ihr ist das Thema MS im Gesundheitswesen repräsentiert? Was sind wichtige Themen / Bedarfe von Menschen mit MS im Gesundheitswesen?
MS ist keine seltene Erkrankung. Sie gehört zu den häufigsten neurologischen Erkrankungen und wird vor allem im jungen Erwachsenenalter zwischen 20 und 40 Jahren diagnostiziert. Unheimlich viel Forschung, Geld und Interessen fließen in die Erkrankung. Als Patient*in ist es da gar nicht so einfach, einen klaren Kompass zu entwickeln und sich im Gesundheitssystem zurechtzufinden. Transparente Angebote, die die Gesundheitskompetenz gezielt fördern und aufklären, können dabei helfen. Sie bieten ein Onboarding in die neue Lebenssituation und unterstützen bei der Navigation durch das System.
Obwohl die Diagnose Multiple Sklerose so einschneidend ist, suchen die wenigsten jungen Menschen klassische Selbsthilfeangebote auf. Die Folge? Gleichaltrige sind für junge Menschen schwer zu finden. Das Prinzip der Selbsthilfe hat sich über Jahrzehnte hinweg kaum geändert. Aber die Bedürfnisse junger Erwachsener haben sich verändert. Genau hier setzt aMStart an. Wir ergänzen das Gesundheitswesen durch unser kosten-und anmeldefreies Angebot – unabhängig, jung und digital.
Was gehört zu den größten Herausforderungen für Menschen mit MS im Gesundheitswesen und vielleicht sogar darüber hinaus?
Die Diagnose mit einer chronischen Erkrankung wie Multiple Sklerose wirft sehr viele persönliche Fragen auf: Was bedeutet die MS-Diagnose für meine Zukunft? Wie wird mein Verlauf sein? Wer hat schon Erfahrungen mit ähnlichen Symptomen gemacht? Auf viele dieser Fragen gibt es keine eindeutige Antwort. Umso wichtiger ist es, dass man als Patient*in ernst genommen wird – sowohl vom medizinischen Fachpersonal als auch von nicht Betroffenen.
Was wünscht ihr euch von Allies/ Nicht Betroffenen? Was sind eure Erfahrungen wie Nicht Betroffene mit dem Thema umgehen?
Gesellschaftlich wird das Leben mit Multiple Sklerose immer noch stark stigmatisiert. Vor allem auf dem Arbeitsmarkt erleben viele Menschen Diskriminierungen. Die Frage: “Sag ich’s oder sag ich’s nicht?” ist eine, die in unseren Gesprächen immer wieder auftritt, weil sich viele unsicher sind, wie sie mit dieser neuen Lebenssituation auch mit ihrem äußeren Umfeld umgehen sollen.
Oftmals gibt es bei Angehörigen sehr viele Berührungsängste. Fragt einfach nach, wenn ihr euch unsicher seid, was sich die Person wünscht und wie ihr sie unterstützen könnt. Manchmal kann das Unterstützung bei der Recherche sein, die den “mental load” erleichtert, manchmal kann es auch “einfach” nur zuhören sein. Zu wissen, dass man nicht alleine ist und dass man ein empathisches Umfeld hat, das einen auch mal auffangen kann, wenn alles zu viel wird, ist sehr viel Wert.
Wie kann man euch unterstützen?
Kennt ihr junge Erwachsene mit MS und Gesprächswunsch? Dann erzählt ihnen gerne von uns. Wir freuen uns auch wenn Neurolog*innen von unserem Angebot erfahren, da sie oftmals der erste Kontakt von jungen Menschen mit der Diagnose sind.
Als stiftungsfinanzierte Organisation sind wir natürlich auch immer daran interessiert weitere Finanzierungspartner*innen zu finden.
Wenn ihr selbst eine Selbsthilfeorganisation oder ähnliches leitet oder kennt, dann nehmt gerne mit uns Kontakt auf. Wir geben unser Wissen nämlich als Lizenzmodell weiter: Sowohl unsere technische Plattform, als auch unsere Expertise in der Entwicklung eines innovativen Angebotes für junge Erwachsene. Gemeinsam sind wir stärker!